Mittwoch, 18. Juli 2018

[Rezension] [Manga] Yoshitoki Oima: To Your Eternity (Bd. 1 + 2)

To Your Eternity (Bd. 1)

Der Inhalt

Diese Geschichte handelt von einem Wesen ohne Sinn und Namen. Von einer göttlichen Präsenz auf der Erde ausgesetzt, nimmt es dort die Form des Lebewesens an, des ihm als erstes begegnet: eines weißes Wolfs. In dieser Gestalt lebt es eine Weile bei einem Menschenjungen, der allein und vereinsamt in der großen Eiswüste lebt; mit nicht viel mehr als der Hoffnung auf Rettung und seinem treuen Begleiter an seiner Seite. Das Wesen lernt von seinem Menschen, bis der Tag gekommen ist, an dem es ihn für immer verlassen muss.

Egmont Manga (April 2018) | 192 Seiten
ISBN 9783-7704-9789-8
 EUR 7,00 € [DE] | EUR 7,20 € [A]


“Am Anfang war es eine Kugel. Aber keine normale Kugel. Es kann die Form aller wirklichen und aller möglichen Dinge annehmen. Ich habe mich entschieden, es auf die Erde zu werfen und zu beobachten.”

Manga ist nicht gleich Manga

Wie lange ist es her, seit ich das letzte Mal einen Manga rezensiert habe? Es muss Jahre her sein. Das bedeutet nun nicht, dass ich in all der Zeit keine Manga gelesen habe - es bedeutet lediglich, dass ich keines gefunden habe, das mehr in mir gerührt hat, als das übliche Gefühl des ewigen Wiedererkennens. Als ich in meinen Kindertagen angefangen habe, mich das erste Mal intensiver mit der japanischen Comic-Kunst auseinanderzusetzen, war alles so unglaublich neu, fremd, und verschlingend interessant. Die Themen, die Stilistik, die Art, Geschichten zu erzählen - das alles hat mich so sehr fasziniert, dass ich all mein Taschengeld darauf verwertet habe, meine ganz eigene Sammlung immer weiter auszubauen.
Und heute? Heute bin ich wesentlich wählerischer mit dem, was ich meiner Sammlung hinzufüge, und wofür ich meine Zeit zu Lesen verwende. Manga und Anime nehmen auch heute noch einen großen Platz in meinem Herzen ein, aber ich habe gelernt, das Gängige vom Speziellen, vom Innovativen zu trennen und freue mich heute vielmehr über seltene Perlen als über die Masse aller gängigen "Musst-du-gelesen-haben"-Manga.
Daher habe ich mir vorgenommen, auf meinem Blog nur diejenigen Manga zu teilen, die mich wirklich berührt haben - und von denen ich glaube, dass sie einen gewissen (literarischen) Anspruch haben. Manga, die ihre Leser herausfordern, in ungewöhnliche Welten entführen, oder einfach nur zum Denken anregen, das ist es, was ich jetzt - in eben diesem Moment - als Erwachsene am meisten brauche. Und daran möchte ich euch teilhaben lassen.

To Your Eternity von Yoshitoka Oima ist so ein Manga.


Dieses fremde Kribbeln

Von allen Manga, die ich jetzt in den vergangenen Wochen immer mal wieder zur Entspannung gelesen habe, ist To Your Eternity von Yoshitoka Oima derjenige gewesen, der mich auch über Tage hinweg nicht losgelassen hat, obwohl ich den ersten Band bereits in ein paar Stunden beendet hatte. Die Geschichte des namenlosen Wesen, das ohne erkennbaren Sinn von seinem Schöpfer auf der Erde ausgesetzt wird, hat in mir mehr als nur Mitleid ausgelöst: Es hat dieses fremde Kribbeln zurückgebracht, das ich in der Anfangsphase meiner Manga-Leidenschaft so oft empfunden und geliebt habe. Die Faszination und die Begeisterung, etwas Neues, Schönes, Fremdes in der Hand zu halten, das man kennen lernen muss, mit dem man sich auseinandersetzen muss, um es zu verstehen. Etwas, das meine Gefühle Achterbahn fahren lässt.

Als das Wesen das erste Mal dem Jungen begegnet, dem der Wolf gehört, in den er sich verwandelt hat, steigt die Spannung für den Leser gleich am Anfang extrem an. Ein Wesen, das keine Geschichte, keinen Namen und keinen Sinn hat - welche Intentionen hat es, sich dem Jungen anzuschließen? Wird er ihm, der nicht ahnt, dass sein treuer Begleiter längst verstorben und durch ein fremdes Wesen ersetzt wurde, Schaden zufügen? Wird er ihn angreifen und sich seiner Besitztümer annehmen? Wird er ihn versklaven? Wird er ihn vielleicht Fressen, um seinen Hunger zu stillen? Hat dieses Wesen, das nun ein Wolf ist, Hunger? 

Das wahnsinnig Spannende an einer Hauptfigur, die wie eine weiße, unbefleckte Leinwand zu sein scheint, ist, dass so gut wie alles passieren kann. Und doch ist jeder Schritt, den das Wesen tut, von Grund auf logisch: Welchen Grund hat das Wesen, seine Macht auszunutzen? Es besitzt keine Vergangenheit, also kann es auch nicht wissen, was es bedeutet, andere zu unterwerfen. Ja, es weiß ja nicht einmal, dass es fressen muss, um zu überleben - oder dass es Harn lassen muss, um seine Blase zu entlasten. Alles, was das Wesen weiß, ist, dass es nichts weiß. Was bleibt ihm also anderes übrig, als von dem einzig anderen lebenden Wesen in seiner Umgebung zu lernen? 

Leben lernen

Die ersten Kapitel von To Your Eternity haben mir schwer zu schaffen gemacht. Denn nicht nur das arme, unwissende Wesen tat mir leid, das nicht wusste, wohin es gehen sollte, sondern mich berührte auch die Geschichte des Jungen auf ungeahnte Weise. Sein Clan hat das Dorf in der Eiswüste verlassen, um nach einer neuen Heimat zu suchen, und hat ihn mit den Alten und Kranken zurückgelassen, damit er sich um sie kümmert, solange sie weg sind. Der Plan war, dass sie zurückkehren und die Überbliebenen holen sollten, sobald sie einen Ort gefunden haben, an dem sie alle gemeinsam leben können. Und so wartet der Junge, dessen Namen wir nicht erfahren, für immer darauf, dass seine Familie zu ihm zurückkehrt, während die Alten und Kranken langsam aber sicher von Kälte und Krankheit dahingerafft werden, und er als letzter Überlebender zur Einsamkeit verdammt bleibt. 

In diese Situation wirft uns der Manga als unwissende Leser - lässt uns den Jungen, seine Geschichte und seine Lebensumstände aus den Augen des geschichtslosen Wesens heraus kennen lernen. Während der Junge nicht zu bemerken scheint, dass sein Wolf nicht mehr sein Wolf ist, muss das Wesen in dieser Gestalt erst lernen, was es heißt zu essen, zu jagen, zu frieren - ja, zu leben. Und obwohl es unsterblich ist, erfährt es doch auch bald am eigenen Leib, was es heißt zu überleben. Was es heißt sterblich zu sein. Es lernt, dass Menschen Gefühle haben, dass sie einsam sein können, dass sie verletzlich sind. Und als die Zeit gekommen ist, seinen neuen Freund zu verlassen, ist es längst keine unbeschriebene Leinwand mehr: Es hat nun einen Namen, es hat einen Sinn und es hat ein Ziel. Es hat nun auch eine Geschichte, die es erzählen kann, wenn es danach gefragt würde. Doch dazu sollte es zu allererst einmal sprechen lernen. 

Der Inhalt

Das kleine Mädchen March lebt mit ihren Eltern in einem einfachen Dorf in ärmlichen Verhältnissen. Die Tradition verlangt, dass jedes Jahr ein kleines Mädchen dem wütenden Bärendämon geopfert werden soll, der den Wald um das Dorf herum beherrscht. Als March für diesen Zweck ausgewählt wird, versteht sie nicht so recht, was ihr geschieht. Alles was sie sich wünscht, ist erwachsen zu werden und Mutter zu sein. Die Jägerin Parona kann das Leid des Mädchens und die Dummheit der Dorfbewohner nicht ertragen und macht sich auf, March vor ihrem Schicksal zu bewahren.

Egmont Manga (Juni 2018) | 192 Seiten
ISBN 9783-7704-9790-4
                          EUR 7,00 € [DE] | EUR 7,20 € [A]

“Widersetzt man sich seiner Umwelt, kommt es zu Beeinträchtigungen. Manchmal sogar zur Gefährdung des Lebens. Ein gewisser Mensch hat so gehandelt und ist gestorben. Aber das, was ihr am Wertvollsten war, hat sie nicht verloren.”

Ein Recht auf Selbstbestimmung

Eigentlich beginnt die Geschichte von March und Parona bereits im ersten Band To Your Eternity. Wir lernen das kleine, unbedarfte Mädchen kennen, das von sich stets in der dritten Person spricht, es liebt, ihre Spielzeuge zu bemuttern, und sich nichts anderes wünscht, als endlich erwachsen zu sein. Ihre Freundin, die bereits erwachsene Jägerin Parona, leistet ihr manchmal Gesellschaft, wenn sie mit ihren Puppen spielt, findet in dem kleinen Mädchen ihren einzigen Anschluss im Dorf. Es entspinnt sich eine spannende Beziehung zwischen den beiden, die einerseits mütterlich wie schwesterlich ist, dabei aber auf einer tiefen Liebe beruht, die dazu führt, dass Parona alles tun würde, um March zu beschützen. Gemeinsam sind sie immer, wenn sie spielen, eine Familie: March als Mutter, Parona als Vater, und die Puppen ihre Kinder. 

Eines Tages kommen Krieger aus Yanome, der Nachbarstadt, ins Dorf und verlangen, dass der Tradition entsprechend ein Mädchen ausgehändigt wird, das dem Bärendämon geopfert werden soll. March, die zu Anfang noch nicht recht begreift, was es heißt, geopfert zu werden, ist von der Anerkennung und den Glückwünschen verwirrt, die ihre Familie dafür erhält, dass sie ausgewählt wurde. Als ihre Eltern ihr die Wahrheit sagen, bricht für sie eine Welt zusammen: Alles, was sie immer wollte, ist, erwachsen zu werden. Mutter zu werden. Selbstbestimmung zu erlangen. Und das sollte ihr nun für immer verwehrt bleiben? 

Statt ihr Recht einzufordern, hebt March mutig das Kinn und begibt sich freiwillig in die Arme ihrer Henker. Und in dem Moment, in dem sie die Verantwortung annimmt, die das Leben an sie stellt, wächst sie ein wenig - innerlich wie äußerlich kommt die kleine March ihrem Traum von selbst ein kleines bisschen näher. Erwachsen zu sein, das heißt erwachsene Entscheidungen zu treffen. Aber heißt es auch, sich einfach geschlagen zu geben? 

Kurzgeschichten über das Leben

Das Wesen, dass wir im ersten Band auf so fantastische Weise vorgestellt bekommen haben, erhält auch hier wieder einen mehr oder weniger großen Auftritt. Wie ein roter Faden zieht sich seine Existenz durch die Geschichten die der Manga erzählt, Geschichten, die so herzzerreißend und tiefgründig sind wie seine Artworks. Das Wesen taucht in das Leben der anderen Figuren ein und nimmt dabei einen Teil ihrer Essenz, eine Erfahrung, einen Wert, ein Gefühl in sich auf und trägt es in das nächste Leben weiter. Während die Menschen, die ihm begegnen, einen Zenit erreichen, lernt das Wesen, das March im zweiten Band endgültig "Fushi" (unsterblich) tauft, überhaupt erst ein Mensch zu sein. Mit jedem Kapitel gewinnt es an Menschlichkeit und Tiefe und obwohl es noch nicht einmal sprechen kann, trägt es seinen wesentlichen Teil zum Werdegang seiner Freunde bei. 

Von der Mangaka, die auch für das fantastische "A Silent Voice" verantwortlich ist (Meinen Review-Shortie dazu findet ihr hier), ist To Your Eternity nicht nur auf inhaltlicher Ebene spannend erzählt, sondern ist auch noch in einem wunderbaren Zeichenstil gehalten, der sich vor allem durch weiche, organische Formen und viele Details auszeichnet. Das kleine Mädchen March bleibt über den zweiten Band hinweg dabei hauptsächlich stilisiert: Ihr Körper wirkt rundlich, detailfrei und damit entsexualisiert - genau wie eine ihrer Puppen. Mit dem Verlauf der Geschichte ändert sich ihr Äußeres nur leicht; sie wächst, ihr Gesicht wird von der Farbe befreit, die die Kinder des Dorfes traditionell tragen, ihre Augen werden ausdrucksstärker. Auf dem Cover des zweiten Bandes ist sie letztlich als Erwachsene zu sehen, schön, glücklich und umringt von ihren Kindern, stellvertretend für die, die sie nicht haben kann. 

Fazit

Wie anfangs versprochen, möchte ich euch auf meinem Blog nur diejenigen Manga vorstellen, von denen ich glaube, dass sie ungewöhnlich, schön und anspruchsvoll sind. Wie schon bei "A Silent Voice" konnte mich Yoshitoki Oima auch dieses Mal wieder voll und ganz in ihren Bann ziehen - sowohl von ihren Artworks, als auch von ihren Erzähltechniken, ihren Charakteren und ihren mythologischen wie lebensnahen Geschichten. Beide Bände konnten mich vollauf überzeugen, haben meine Gefühle Achterbahn fahren lassen und mir mehr als nur einmal eine Gänsehaut beschert. Ich kann es nicht erwarten, zu sehen, welche Abenteuer das Wesen namens Fushi in den kommenden Bänden noch erwarten werden - welche Eigenschaften, Gefühle und Eindrücke es noch sammeln wird und vor allem: Was es sich letztendlich zu sein entscheidet, wenn seine Metamorphose abgeschlossen ist. Absolute Empfehlung!

WERTUNG

♥♥

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